Im ersten Teil dieser Artikelreihe ging es um die Änlichkeiten zwischen Osteopathie und Yoga auf der muskulären und faszialen Ebene. Diesmal schauen wir uns die energetischen bzw. nervalen Parallelen an. Neben der Ausführung ganz persönlicher Erfahrungen mache ich dafür einen Abstecher in die Steinzeit und erkläre euch, wie sich daraus der Ablauf von Yogastunden und osteopathischen Behandlungen ergibt.

Erfahrung

Beginnen wir mit einer kleinen Geschichte vom Anfang meines Osteopathiestudiums. Es gab die ungeschriebene Regel, dass sich die Erstsemester den fortgeschrittenen Studenten zum Üben von Techniken zur Verfügung stellten. In einem dieser Seminare schlug mir ein Kommilitone vor, eine Brustwirbelsäulenmanipulation an mir zu probieren, worauf ich mich ohne weiteres Nachfragen sofort einließ. Der Student warf sich plötzlich auf mich und es krachte gehörig in meinem Rücken. Er war höchst zufrieden mit dem Ergebnis während ich etwas perplex war. Aber irgendwie fühlte sich mein Rücken befreit an. Im weiteren Verlauf des Tages hatte ich auf einmal das Gefühl, als würde sich Energie entlang meiner Wirbelsäule hinaufschlängeln.

Diesen Energiefluss hatte ich bereits vorher beim Yoga und in Meditation erlebt. Besonders intensiv war es bei meiner ersten bewussten Erfahrung dieser Art gewesen. Damals ließ ich mein Leben in Deutschland komplett los, um mit einem One-Way-Ticket in die USA zu fliegen. Meine damalige Mentorin erklärte mir, dass dieses expansive Gefühl der Glückseligkeit eine Kundalini-Erfahrung war. All meine Energie, die vorher in Verpflichtungen gebunden war, floss plötzlich befreit durch mich hindurch. Ich wollte die Welt umarmen, sie hatte mich jedoch bereits herzlich in ihre Arme geschlossen.

Vegetatives Nervensystem 

Abb. 2 Unterteilung des Nervensystems

wahrnehmen und steuern können. Deswegen wird es auch als autonomes Nervensystem bezeichnet. Dies steht im Gegensatz zum willkürlichen Nervensystem durch welches wir bewusst unsere Umgebung wahrnehmen und Bewegungen durchführen können. Aber wozu brauchen wir das vegetative Nervensystem? Es reguliert die Verdauung und Herzkreislauf, aber auch die Durchlässigkeit der Gefäße und vieles mehr. 

Sympathikus

Der Sympathikus wird v.a. durch Aktivität stimuliert. Evolutionär gesehen kommt es zu einer Sympathikusstimulation bei Gefahr – oder heutzutage eher bei Stress. Um den Mechanismus zu illustrieren, ziehe ich einen Steinzeitmensch heran und taufe ihn Fred. Fred wird von einem Säbelzahntiger angegriffen und muss entweder kämpfen oder fliehen. Hierfür stimuliert der Sympathikus Freds Blutfluss zu den Muskeln, erhöht seine Herzfrequenz und sein Lungenvolumen.

Merkhilfe: Beim Sympathikus steht das S für Stress. Stimulation durch Aktivität (fight & flight).

Parasympathikus

Da Fred kein Angsthase ist, entscheidet er sich für den Kampf mit dem Säbelzahntiger und erlegt ihn als geschickter Krieger kurzer Hand. Durch den Kampf

werden die hormonellen und neurologischen Transmitter automatisch abreagiert. Jetzt kommt der Antagonist des Sympathikus, der Parasympathikus ins Spiel. Fred lässt sich nieder um seine Beute über dem Lagerfeuer zu rösten. Der Puls wird heruntergefahren, das Blut fließt von den Muskeln zum Verdauungstrakt und der Magen knurrt laut in freudiger Erwartung.

Merkhilfe: Beim Parasympathikus steht P für passiv. Stimulation durch Ruhe (rest & digest).

Anatomisch ist der Parasympathikus vor allem an zwei Stellen wiederzufinden (siehe Abb. 6).

1.an der Schädelbasis in der Nähe des Genicks, als paariger zehnter Gehirnnerv (Nervus vagus). Fast der komplette Verdauungstrakt sowie Herz und Lunge werden vom Vagus innerviert.

2. am Kreuzbein, als drei paarige Nervenstränge (Nervi splanchnici pelvici), die nur die Beckenorgane und einen kleinen Teil des Dickdarms versorgen.

Dysbalance

Freds natürlicher Prozess wird heute nur selten komplett durchlaufen. Bei Stress mit dem Chef können wir weder angreifen noch flüchten, obwohl unser Nervensystem ähnlich wie auf den Säbelzahntiger reagiert. Sehr häufig wird der Sympathikus überstimuliert ohne sich durch körperliche Anstrengung abregen zu können. Eine wirkliche Entspannungsphase des Parasympathikus tritt somit nicht ein. Als Konsequenz werden viele unserer Zivilisationskrankheiten wie Herzinfarkte, Bluthochdruck, Verdauungsbeschwerden, Kopfschmerzen uvm. begünstigt.

Harmonisierung

Yoga und Osteopathie sind sehr effektiv, weil sie auf die Harmonisierung der vegetativen Gegenspieler abzielen. In einer Yogastunde werden typischerweise zuerst die körperlich fordernden Asanas durchgeführt, die den Sympathikus stimulieren und abreagieren. Zu Anfang einer Osteopathiebehandlung werden häufig kräftigere Manipulationstechniken eingesetzt um die Blockaden der Wirbelsäule zu befreien. Wie Eingangs beschrieben wirkt dies direkt auf den Truncus Sympathikus bzw. die Kundenlinienergie (siehe Abb. 7).

In der Schlussentspannung beim Yoga gleiten wir ähnlich wie Fred, nachdem er seine Säbelzahntigerhaxe verschmaust hat, in eine Tiefenentspannung. Hierbei wird der Parasympathikus stimuliert, der zudem Heilungsprozesse antreibt, um Freds Kampfblessuren zu heilen. Das selbe Prinzip der Selbstheilung greift auch bei unseren modernen Zivilisationskrankheiten. Zum Ende einer osteopathischen Behandlung wird mit Hilfe der Kranio-Sakral-Therapie (Kranium lat. für Kopf und Sakrum lat. für Kreuzbein) der Parasympathikus sanft in seinen Ursprungsgebieten stimuliert (siehe Abb. 8).

Yoga und Osteopathie ergänzen sich nicht nur darin, Rückenschmerzen und anderen muskuloskelettalen Beschwerden vorzubeugen und zu lindern. Wie meine Erfahrung zeigt, können selbst spirituelle Blockaden durch diese Synergie leichter überwunden werden. Die Kundalinierfahrung nach meiner ersten Wirbelsäulenmanipulation war sicherlich nur möglich, weil sich die Energie bereits vorgebahnt hatte. Diese Vorbereitung kann über Meditation und Yoga, über Auszeiten in der Natur bis hin zum einfachen bewussten Teegenuss gegeben werden. Es gibt tausende von Ablenkungen und Rechtfertigungen, wegen derer wir keine Zeit für unsere ganz persönliche spirituelle Praxis finden können. Aber wenn wir ehrlich mit uns selbst sind, haben wir noch nie nach dem Yoga entsetzt festgestellt: „Verdammt, hätte ich doch besser auf Snooze gedrückt“ oder „Oh Nein! Facebook ist wieder zu kurz gekommen“. Unser erster Blick am Morgen sollte sich nicht auf unser Smartphone sondern nach innen richten. Unser iPhone nimmt es uns nicht übel, wenn es die erste halbe Stunde des Tages ignoriert wird und wir unserer Yogapraxis nachgehen. Denn so leicht ist es unseres Vegetativum zu harmonisieren. Plötzlich erfahren wir eine einfache Zufriedenheit und tiefe Dankbarkeit, die wir mit Google nie finden werden. Als I-Tüpfelchen kommt hin und wieder eine ekstatische Kundalinierfahrung hinzu, bei der wir die Welt umarmen wollen. Die Entscheidung, ob es sich dafür lohnt 30 Minuten früher aufzustehen, musst du selbst treffen.

Apendix

Sympathikus und Parasympathikus vereinen sich an der Vorderseite des Körpers zu Nervengeflechten, die wiederum die verschiedenen Organe auf dieser Höhe innervieren. Diese Geflechte korrespondieren mit den sieben Energiezentren oder Chakren, Am bekanntesten ist hier der Solarplexus (Sonnengeflecht), der mit dem dritten Chakra assoziiert ist. An den Nervengeflechten entstehen sehr viele Wechselwirkungen zwischen Organen, Drüsen, Gelenken und Muskeln. Chakren haben mit Emotionen und transzendentalen Erfahrungen ihre physischen Schnittstellen an den Nervengeflechten. Diese Wechselwirkungen sind in meiner Arbeit als Osteopath der spannendste Aspekt. Detaillierter kann ich darauf an dieser Stelle jedoch noch nichteingehen, da die Materie den Rahmen des Artikels sprengen würd